Zusammenhalt - Kinder und Erwachsenenhände

Update von Marvin

- Update von Marvin - Die Intensivtherapietage bei „Train to Eat“

Liebe Leserinnen und Leser!


Heute möchte ich euch von einer ganz besonderen Reise erzählen – unsere Intensivtherapietage bei „Train to Eat“. Ein Abenteuer voller Herausforderungen, neuer Erkenntnisse und wertvoller Momente, dass uns als Familie tief berührt hat. Gemeinsam mit sechs anderen Familien, deren Kinder alle an ARFID leiden (eine Essstörung, die das Essen auf wenige „sichere“ Lebensmittel einschränkt), begaben wir uns auf diesen spannenden Weg. Unsere Gruppe war bunt gemischt – Kinder im Alter zwischen vier und sechzehn Jahren, darunter auch zwei Familien, die bereits zum zweiten Mal teilnahmen.


Tag 1: Ein aufregender Start – neue Wege wagen


Der erste Tag unserer Intensivtherapietage bei Train to Eat begann mit einer Mischung aus Aufregung und Nervosität. Die Spannung lag in der Luft – sowohl bei den Kindern als auch bei uns Eltern. Doch als wir alle im großen Raum zusammenkamen und das Therapeutenteam sich vorstellte, spürten wir sofort: Wir sind nicht allein.
Einfühlsam erklärten uns die Logopädinnen, Ergotherapeutinnen, Physiotherapeutinnen, Ärzte und Diaetologn, was uns in den kommenden Tagen erwarten würde. Der strukturierte Ablauf gab uns Sicherheit, doch gleichzeitig war da die Frage: Wie wird Marvin das alles annehmen?
Gleich danach folgte das erste große Erlebnis: das Play Picnic. In der Mitte lag eine große Decke, darauf ein kleiner, fröhlich fahrender Spielzeugzug. Rundherum – scheinbar zufällig verteilt – lagen verschiedene Lebensmittel. Die Kinder durften damit spielen, sie stapeln, matschen oder sogar einen kleinen Turm bauen. Was für viele nach Spaß aussah, war für Kinder mit ARFID eine riesige Herausforderung.
Für Marvin war allein der Gedanke daran, Schlagsahne auf den Händen zu haben, eine enorme Überwindung. Er geriet sofort in Panik, wollte sich zurückziehen. Doch die Therapeutinnen halfen ihm mit viel Geduld und Feingefühl, seine Angst Schritt für Schritt abzubauen. Es war kein leichter Moment, aber ein erster wichtiger Schritt.

Anschließend standen die Einzeldiagnostiken an. Marvin wurde von der Physiotherapeutin untersucht, die rasch eine Blockade in seiner Muskulatur erkannte – eine Erklärung für viele seiner motorischen Schwierigkeiten. Mit gezielten Übungen wurde diese gelöst, und bereits nach der ersten Einheit konnte man sehen, dass er sich leichter bewegte. In der Ergotherapie durfte er verschiedene Materialien ausprobieren, eine Herausforderung, da er sensorische Schwierigkeiten hat. Doch Marvin traute sich – langsam, aber stetig.
Ein besonderer Meilenstein war das erste therapeutische Mittagessen. Die Kinder aßen in einem separaten Raum mit den Therapeutinnen, während wir Eltern auf der anderen Seite saßen. Für mich war das ein sehr emotionaler Moment. Bisher habe ich immer mit Marvin gemeinsam gegessen – ihn allein zu lassen, fühlte sich ungewohnt an. Würde er überhaupt etwas essen? Würde er sich wohlfühlen?
Doch die Therapeutinnen und mein Mann gaben mir den Rückhalt, den ich brauchte. Und siehe da: Marvin meisterte es großartig! Jeden Tag übernahmen andere Elternpaare die Zubereitung des Mittagessens – eine schöne Möglichkeit, uns selbst einzubringen und aktiv an diesem Prozess teilzunehmen.
So ging der erste Tag zu Ende – mit vielen neuen Erfahrungen, ersten kleinen Erfolgen und der Erkenntnis: Wir sind hier am richtigen Ort.

Tag 2: Grenzen überwinden – ein Sprung ins Unbekannte


Der zweite Tag stellte uns gleich vor eine große Herausforderung: ein Ausflug ins Hallenbad.
Schon das Umziehen war für Marvin eine Hürde. Er weigerte sich, seine Kleidung abzulegen, wollte weder uns Eltern noch den Therapeutinnen erlauben, ihm zu helfen. Ich konnte die Angst in seinen Augen sehen – Angst vor dem Unbekannten, vor der Veränderung. Wir versuchten alles, doch Marvin blieb hartnäckig.
Also entschieden wir uns, den Druck herauszunehmen. Wir begleiteten ihn, so wie er war, mit voller Kleidung ins Bad. Und dann geschah das Unglaubliche: Er sah die anderen Kinder im Wasser spielen, lachen und Spaß haben – und plötzlich war seine Angst wie weggeblasen!

Er zog sich selbstständig um, sprang ins Wasser und begann zu planschen, zu rutschen und mit anderen Kindern auf Schatzsuche zu gehen. Es war ein magischer Moment. Marvin hatte eine Grenze überwunden – auf seine eigene Weise, in seinem eigenen Tempo.
Am Nachmittag wartete ein weiteres Play Picnic, diesmal mit einer besonderen Konstellation: Nur die Papas waren bei den Kindern, während wir Mütter eine Auszeit genießen durften.
Wir saßen zusammen bei Kaffee und Kuchen, redeten über unsere Sorgen, teilten unsere Ängste – und lachten gemeinsam. Dieser Austausch mit anderen Eltern war unglaublich wertvoll. Es tat so gut zu wissen, dass wir mit unseren Herausforderungen nicht allein sind.
Marvins Papa lernte an diesem Tag eine der wichtigsten Lektionen im Umgang mit ihm: “Ignorieren statt Auffordern.”
Statt Marvin direkt zu ermutigen, neue Lebensmittel zu probieren, bastelte er für eine Therapeutin aus einer Kabanossi eine Axt. Und siehe da: Marvin wollte sie plötzlich unbedingt haben!

Tag 3: Starke Fortschritte und neue Erkenntnisse


Der dritte Tag war geprägt von spannenden neuen Erkenntnissen – sowohl für Marvin als auch für uns Eltern.
Während die Kinder im Turnsaal spielten, trafen wir uns zur Elterngruppe. Wir tauschten uns über unsere Erlebnisse aus, sprachen über unsere Ängste und Herausforderungen – aber auch über die kleinen Erfolge, die uns Hoffnung gaben. Es tat einfach unendlich gut, mit Menschen zu sprechen, die genau verstehen, was wir durchmachen. Marvin überraschte uns an diesem Tag gleich mehrfach:

🔹 In der Diätlogik-Therapie baute er aus Bananen, Äpfeln und anderen Früchten kleine Autos und Flugzeuge – spielerisch setzte er sich mit neuen Lebensmitteln auseinander.
🔹 Beim Pizzabacken gestaltete er mit anderen Kindern seine eigene Pizza und wagte es sogar, Zutaten zu berühren, die er sonst nie angefasst hätte.
Der Tag endete mit einer besonderen Überraschung für uns Eltern: zwei Stunden ME-Time!


Die Therapeutinnen kümmerten sich liebevoll um die Kinder, während wir Eltern gemeinsam essen gingen – ohne Sorgen, ohne Stress, einfach nur genießen.
Es war das erste Mal seit Langem, dass ich mich so frei und entspannt fühlte. Für mich war das eine unglaublich wertvolle Erfahrung, denn in den letzten Jahren stand immer nur eines im Vordergrund: Marvin und seine Bedürfnisse.
Doch an diesem Abend durfte ich einfach mal ich selbst sein.

Der letzte Tag – ein emotionaler Höhepunkt

Der vierte und letzte Tag unserer Intensivtherapiewoche begann mit viel Energie und Bewegung. Gemeinsam mit unseren Kindern starteten wir in den Tag mit einer Turnstunde, bei der wir Eltern und unsere kleinen Kämpfer*innen noch einmal gemeinsam aktiv sein konnten. Es war nicht nur eine sportliche Einheit, sondern auch ein wunderschöner Moment voller Spaß und Leichtigkeit – ein Symbol für die Entwicklung, die unsere Kinder in den letzten Tagen durchlaufen hatten.
Nach der Bewegung ging es in die Abschlussgespräche mit dem Therapeutenteam. Hier bekamen wir wertvolle Tipps und individuelle Empfehlungen, wie wir unsere Kinder weiterhin auf ihrem Weg begleiten und unterstützen können. Es war beeindruckend zu sehen, wie genau sich die Therapeutinnen und Therapeuten mit jedem einzelnen Kind auseinandergesetzt hatten. Sie nahmen sich viel Zeit, um uns Eltern zu bestärken und Mut zu machen.
Doch der größte Gänsehautmoment folgte beim gemeinsamen therapeutischen Mittagessen. Marvin, unser sonst so zurückhaltender Esser, überraschte uns alle: Er probierte Pommes und Chicken-Nuggets mit Panier – etwas, das vorher undenkbar gewesen wäre! Er ließ sich auf das Essen ein, erkundete neue Geschmäcker und hatte sichtlich Freude daran. Für uns als Familie war das ein unglaublicher Durchbruch.
Am Nachmittag durften sich die Kinder zum krönenden Abschluss im Indoorspielplatz austoben. Lachen, Rennen, Klettern – die Anspannung der letzten Tage viel von ihnen ab, und wir Eltern konnten stolz beobachten, wie unsere Kinder gewachsen waren – nicht nur körperlich, sondern auch in ihrem Mut und Selbstbewusstsein.
Bevor wir die Heimreise antraten, gab es ein letztes Play Picnic und eine Abschiedsrunde. Wir tauschten uns mit den anderen Eltern aus, ließen die vergangenen Tage Revue passieren und genossen diesen besonderen Moment. Es war schwer, sich zu verabschieden, denn aus Fremden waren in diesen Tagen enge Wegbegleiter*innen geworden – Menschen, die genau verstehen, was es bedeutet, ein Kind mit ARFID zu begleiten.

Wir sind unendlich dankbar, dass wir an diesen intensiven und lehrreichen Tagen teilnehmen durften. Das Team von Train to Eat hat eine unglaubliche Arbeit geleistet – mit so viel Hingabe, Geduld und Fachwissen.

Marvin hat in dieser kurzen Zeit riesige Fortschritte gemacht:
🔹 Zum ersten Mal in seinem Leben hat er gesagt, dass er Hunger hat.
🔹 Er ist viel offener gegenüber neuen Lebensmitteln, probiert neugierig Neues aus.
🔹 Heute hat er zum ersten Mal Ketchup gekostet – freiwillig!
🔹 Er isst jetzt sogar ein Naturschnitzel, neue Nudelsorten, Lebkuchen und Kekse – Dinge, die er vorher strikt verweigerte.
🔹 Sogar das Gefühl, sich mit Soße oder anderen Lebensmitteln zu bekleckern, stört ihn nicht mehr so sehr.

Unsere Logopädin bestätigte uns, dass Marvin große Fortschritte gemacht hat, und wir werden den Weg mit ihr wöchentlich weitergehen. Eines steht für uns fest: Wir kommen nächstes Jahr wieder!

Ein riesengroßes Dankeschön geht an den Verein Seite an Seite und an alle großzügigen Spenderinnen und Spender, die dieses unglaubliche Programm Train to Eat möglich machen. Ohne diese Unterstützung hätten wir diese wertvolle Erfahrung nicht machen dürfen. Ihr schenkt Familien wie uns Hoffnung, Mut und eine echte Chance auf Veränderung – dafür sind wir unendlich dankbar!

Und auch danke, Train to Eat, für diese wertvolle Erfahrung!
Mit herzlichen Grüßen

Tanja

Haben es geschafft! 🙂
Intensivtherapietage Train to Eat
Marvin Train to Eat Programm
Marvin mit Mama beim Play Picknik
Marvin beim Essen
Play Picknick
Marvin beim Essen
Marvin beim Essen mit Trainerin
Marvin beim Essen mit Trainerin
Marvin mit Nuggets

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